Mit der Brust im Krieg
„Willkommen im Lazaret!“ – Diese Begrüßung eines Mannes beim Hausbesuch hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.
Der Schlafraum in der Berliner Altbauwohnng war mit Matratzen belegt. Eine Matratze für jeden zum Schlafen. Die Bettdecken lagen zusammengeknüllt darauf. Die anderen Zimmer wurden nur noch wenig benutzt. Auf einer der Matratzen saß die frisch gebackene Mutter mit einer Maske. Der Rücken an der Wand angelehnt, das wenige Wochen alte Kind daneben. Neben der Matratze lagen angebrochene Verpackungen von Ibuprofen und Antibiotikum sowie sämtliche Stillhilfsmittel zur Pflege der Brustwarze, Stilleinlagen, zusammengeknüllte Taschentücher, Pumpe, alte Quarkpackungen, Kühlkompressen und und und (In der Apotheke unten an der Ecke – war man schon per du). Das ältere Geschwisterkind spähte immer wieder zu seiner Mutter – schien die Situation skeptisch zu beäugen. Die Sorgen die dieses Kind beim Anblick seiner kranken Mutter hatte, waren im Bick des Kindes ablesbar.
Aber warum trug sie eine Maske? Als ich sie fragte warum sie eine Einmalmaske trug entblößte sie mir ihren über den Unterkiefer ausgebreiteten Herpes.
Gott sei Dank hatte ich am vorigen Tag mit meiner Mutter – selbst Hebamme- telefoniert und ihr die Situation für Rat geschildert. In einem Nebensatz erwähnte meine Mutter, dass manche Frauen auf Grund des heruntergefahrenen Immunsystems einen Lippenherpes entwickeln. – Ich war also Gott sei Dank nicht ganz so unvorbereitet
Was war passiert?
Alles fing mit einem kleinen Riss in der Brustwarze an. Schon beim ersten Termin wies die Brust leicht gerötete Stellen auf. Die Brust war insgesamt teigig und insgesamt geschwollen, leicht schmerzhaft, es gab keine eindeutigen Verhärtungen.
Ich packte also die verschiedensten Methoden und Maßnahmen aus die es bei der Behandlung von wunden Brustwarzen und geröteten Brüsten so gab. Vom Lanolin über Brustwarzendonuts über Calendulaspühlungen bis hin zu Laktobazillen für die Brust, die Optimierung des Stillens, Wärme – Kälte war alles dabei. Nichts schien zu helfen. Die Rötung ging nicht weg, die Brustwarze schien nur langsam zu verheilen.
Ich weiß nicht mehr wann in diesem Zeitraum, aber irgendwann entwickelt die Frau erhöhte Temperatur. Kein richtiges Fieber – nur erhöhte Temperatur. Trotzdem war das für mich Grund genug um nach einiger Zeit der mehr oder weniger erfolglosen Behandlung, die Frau zum Arzt zu schicken.
Gesagt getan, es war das langes Wochenende 3. Oktober – also ab in die Klinik. Bei der Untersuchung hatte die Frau weiterhin nur erhöhte Temperatur, trotzdem verschieb die Frauenärztin – zwar etwas gehemmt – Antibiotika und Ibuprofen. Erwähnte aber im Nebensatz dies nur dann anzuwenden, wenn sie wirklich Fieber hätte.
Nach Rücksprach mit mir entschieden wir mit der Antibiotikaeinnahme direkt zu beginnen – wir hatten ja schon einen Marathon an Maßnahmen hinter uns und die gesundheitlichen Kapazitäten der Frau waren schon sehr gefordert.
5 Tage später schien das Antibiotika immer noch nicht zu wirken. Ein paar Tabletten waren noch übrig und wir hingen tapfer in der Situation. Es wurde gestillt, breiige Milch gepumpt und verworfen, zugefüttert, mit Quark und Kühlkompressen gekühlt, die Brustwarze gereinigt nach dem Stillen und Ibuprofen gegessen bis zum Umfallen.
Am 6. Oder 7. Tag nach Beginn der Antibiotikaeinnahme wurde es dann langsam besser. Die Frau fühlte sich fitter, die Brustwarze verheilte, die Milch wurde wieder flüssiger, das Kind konnte wieder ausschließlich gestillt werden und die erhöhte Temperatur normalisierte sich. Die Apothekenbesuche unten an der Ecke wurden weniger.
6 Wochen dauerte es bis die Rötung gänzlich verschwunden war und die Brust komplett verheilt war. 6 Monate wurde das Kind weiter voll gestillt.
Aber das Gefühl der Machtlosigkeit und die Angst vor einer erneuten Brustentzündung blieb über die gesamte Stillzeit und flammt bei der nächsten Schwangerschaft sofort wieder auf.
Beim 3. Kind etwa 2 Jahre später waren wir ganz anders vorbereitet. Es gab keine Kompromisse mehr und das absolute Hauptziel der wochenbettbetreuung bestand darin – wunde Brustwarzen und Brustentzündung absolut zu vermeiden. Schon in der
Schwangerschaft haben wir jegliche Vorbereitungen getroffen, damit genau so ein Szenario nicht noch einmal passiert.
Und es hat geklappt. Dieses Wochenbett war anders. Diese Wochenbett war schön. Dieses Wochenbett war nötig um mit dem vorherigen Wochenbett Frieden zu schließen.